Der Super-GAU von Tschernobyl begann während eines Systemtests am 26. April 1986. Eine plötzliche Leistungssteigerung des Reaktors machte eine Schnellabschaltung notwendig. Diese führte zur Erreichung einer überkritischen Masse und so zum Beginn einer atomaren Kettenreaktion innerhalb des Reaktors. Das 1.000 Tonnen schwere Dach wurde durch die Wucht der Explosion angehoben, und das grafithaltige Inventar fing Feuer. Eine Wolke mit radioaktivem Rauch zog über weite Teile Ost- und Mitteleuropas und überzog ganze Landstriche mit radioaktivem Niederschlag.
Vor allem nördlich des Kraftwerks, in Teilen von Belarus, gingen große Mengen Radioaktivität nieder, aber auch Teile Skandinaviens, Kleinasiens oder der Bayerische Wald wurden mit radioaktivem Jod-131 oder Cäsium-137 überzogen. Der Super-GAU wurde tagelang vor der Bevölkerung geheim gehalten. Evakuierungs- und Schutzmaßnahmen wurden stark verzögert.
Die ersten Opfer der Atomkatastrophe waren die rund 800.000 Liquidatoren, meist junge Rekruten, die aus der ganzen Sowjetunion nach Tschernobyl gebracht wurden, um die Katastrophe unter Kontrolle zu bringen. Mit bloßen Händen mussten sie strahlenden Schutt über das Gelände tragen und einen gigantischen Sarkophag über dem havarierten Reaktorblock errichten. Schätzungsweise 14 bis 15 % von ihnen waren 2005, also 19 Jahre nach dem Unglück, bereits verstorben; mehr als 90 % von ihnen sind erkrankt, viele vermutlich aufgrund ihrer hohen Strahlenexposition.
Die Explosionen und das wochenlange Feuer im Reaktorkern führten zur Freisetzung von radioaktiven Partikeln. Über Atemluft, Nahrung oder Wasser aufgenommen, setzen sich diese Stoffe im menschlichen Körper ab, verstrahlen das umliegende Gewebe und führen zu Zellschäden, Mutationen und Krebs.
Drei Radioisotope spielen dabei eine besonders wichtige Rolle: Jod-131 führt vor allem zu Schilddrüsenkrebs, Cäsium-137 zur Entstehung solider Tumoren und Strontium-90 zu Leukämie und Knochenkrebs. Die gesundheitlichen Folgen beschränken sich nicht nur auf die hoch kontaminierten Gegenden der ehemaligen Sowjetunion, sondern auch Teile von Nord-, Mittel- und Südosteuropa. Da keine groß angelegten epidemiologischen Studien durchgeführt wurden, stehen zur Abschätzung der Gesundheitsfolgen nur Berechnungen auf der Basis von Kollektivdosis-Abschätzungen zur Verfügung.
Der Wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (UNSCEAR) schreibt, dass die Bevölkerung Europas durch Tschernobyl einer Kollektivdosis von ca. 400.000 Personen-Sievert (PSv) und einer Schilddrüsendosis von etwa 2.400.000 Personen-Gray ausgesetzt wurde. Mithilfe international akzeptierter Risikofaktoren lässt sich so abschätzen, dass ca. 21.000 Menschen infolge von Tschernobyl Schilddrüsenkrebs und weitere 36.000 bis 140.000 andere Krebsarten entwickeln werden. Eine Studie des International Journal of Cancer kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass in Europa bis zum Jahr 2065 etwa 41.000 zusätzliche Krebsfälle und mehr als 15.000 Krebstode durch Tschernobyl zu erwarten sind.
Auch wenn die Zahlen im Vergleich zur betroffenen Gesamtbevölkerung relativ niedrig erscheinen mögen, ist jede Erkrankung für die betroffenen Familien ein schwerer Schicksalsschlag. Zusätzlich entsprechen diese Schätzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nur einem Bruchteil der wahren Folgen der Atomkatastrophe, da sowohl die Kollektivdosen als auch die Risikofaktoren systematische Unterschätzungen darstellen.
Zudem konnten in den betroffenen Gebieten, auch in Deutschland, infolge des radioaktiven Niederschlags ein Anstieg von Totgeburten, Missbildungen, Downs Syndrom, Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen nachgewiesen werden. Die psychologischen Folgen, sowie die sozialen und ökologischen Effekte der Katastrophe, dürfen ebenfalls nicht vergessen werden.
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