Interview mit Claudia Peterson (Nevada)

1. Wann haben Sie zum ersten Mal eine Atombombe explodieren sehen?

Als ich 1955 geboren wurde, wurden in Nevada schon im fünften Jahr Atombomben getestet. Ich wuchs auf einem Bauern­hof im Süden Utahs auf, und eines Abends saß ich mit meinem Bruder auf der Schaukel, als ich plötzlich einen Riesenfeuerball über dem Horizont aufsteigen sah. Ich rannte ins Haus und rief meiner Mutter zu, dass ein UFO zu sehen sei. Als sie rauskam, hatte sich die Wolke schon wieder verflüchtigt. Wir gingen wieder nach drinnen, als wäre nichts Besonderes passiert.

2. Hatte niemand Angst vor der radioaktiven Strahlung?

Am Anfang nicht. Wir aßen alles aus dem Garten, wir tranken die Milch unserer Kühe. Nach­dem ich eingeschult worden war, kamen eines Tages Angestellte der Atomenergiebe­hörde in schwarzen Anzügen in die Schule. Sie brachten Geigerzähler mit und erzählten uns, sie würden die Schilddrüsen unter­suchen. Wenn die Messgeräte Alarm schlu­gen, sagten sie: Macht nichts, du hattest wohl mal eine Röntgenaufnahme beim Zahnarzt. Dann gingen wir in den Keller der Schule, und man erzählte uns, wo wir uns verstecken müssten, wenn die Russen uns bombardierten. Wenn ein Test angekündigt wurde, sollten wir nun drinnen bleiben. Meine Mutter hängte an diesen Tagen auch keine Wäsche nach draußen. Sie arbeitete als Krankenschwester und sagte uns, sie habe ein schlechtes Gefühl wegen der Tests. Es war aber nicht so, dass uns irgendjemand gewarnt hätte.

3. Wann schöpften die Menschen Verdacht, dass der Fallout gesundheitsschädlich sein könnte?

Einige Leute hatten die Regierung auf Schadensersatz verklagt. Tausende von Schafen waren nach einem der Tests gestorben. Als ich in der sechsten Klasse war, erkrankte einer meiner Klassen­kameraden an Leukämie. Ich weiß noch, wie traurig ich war, als er starb. Kurz darauf erkrankte ein Schüler an Kno­chenkrebs und starb ein Jahr später. Eine gute Freundin meiner Mutter wurde krank und verstarb, sie war jung. Ihr Arzt sagte, das könnte an der Strahlung liegen. Die Indizien häuften sich, aber viele Leute sagten immer noch: Die Regierung würde uns niemals Schaden zufügen.

4. War Ihre Familie betroffen?

Bei meinem Vater wurde ein Hirntumor diagnostiziert. Er hat sechs Monate lang gekämpft, aber dann verstarb er. Ein paar Jahre später wurde bei unserer Jüngsten, Bethany, ein Neuroblastom der Stufe 4 diagnostiziert, später akute monozytische Leukämie. Und meine Schwester, fünf Jahre älter als ich, erkrankte an Hautkrebs. Sie war schwanger. Sie gebar das Baby, und drei Wochen später be­gann die Chemotherapie. Ich wusste, dass sie sterben würde. Bei der Beerdigung beobachtete Bethany alles sehr genau. Sie starb einen Monat später. Es war die Hölle.

5. Haben Sie damals der Regierung die Schuld gegeben?

Drei Jahre gingen ins Land, in denen ich einen Fuß vor den ande­ren setzte. Dann bekam ich eine Einladung der IPPNW nach Semipalatinsk, dort lebten die russischen „Downwinder“. Das waren wunderbare, höfliche, kluge Menschen. Mir wurde bewusst: Das sind auch nur Mütter, die ihre Kinder lieben – und ich hatte mein Leben damit zugebracht, diese Menschen zu fürchten. Da wurde ich wütend. Was man denen angetan hatte, hatte man auch uns angetan. Ich schwor mir, dass ich mir niemals wieder den Mund verbieten lassen würde. Auch wenn man mich dafür aus der Kirche werfen würde.

6. 1990 hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, in dem eine Entschädigung festgesetzt und eine Art Entschuldigung formuliert wird. Nehmen Sie die an?

Nein. Das Positive daran ist, dass wir wissen: Die Regierung war sich über die Gefahren der Tests im Klaren. Aber Krebs in der zweiten oder dritten Generation wird von dem Gesetz nicht anerkannt. Ich habe vielen geholfen, die Anträge auszufüllen. Oft werden sie abge­lehnt. Und wenn nicht, speisen sie einen mit 50.000 Dollar ab. Die reichen gerade mal für ein halbes Jahr Chemotherapie. Es ist ein Schlag ins Gesicht.

Gekürzte Fassung eines Interviews von Max Rauner erschienen unter:
www.zeit.de/zeit-wissen/2018/03/atomwaffentest-nevada-leben-erfahrungsbericht

Radiosendung auf Deutschlandfunk Nova: www.deutschlandfunknova.de/beitrag/claudia-peterson-und-der-fallout-die-wahrheit-hinter-den-atomwaffentests

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